Sterben als Teil des Lebens menschenwürdig gestalten

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Stellungnahme von Kirchenpräsident Martin Heimbucher zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Mittwoch, 28. Februar, mit dem das Gericht das Verbot der Suizidhilfe aufhob.


"Mein Leben habe ich mir nicht selber gegeben. Dass ich ins Leben kam und dass ich am Leben bin, ist ein Geschenk. Ein Geschenk Gottes. Darum kann ich mir mein Leben im Grunde auch nicht „selber nehmen“. Am Anfang wie am Ende meines Lebens kommt das „Selbstbestimmungsrecht“ unvermeidlich an seine Grenzen. Diese „Eigenverfügbarkeit“ über mein Leben und Sterben zum Leitmotiv der rechtlichen Bewertung des assistierten Suizids zu machen, wie es im Urteil des Bundesverfassungsgerichts geschieht, geht an der Wirklichkeit vorbei.

Wenn ein Mensch sein Leben beenden möchte, ist das Ausdruck einer großen Not: Da drohen Schmerzen unerträglich zu werden. Oder die Fortdauer eines Leidens weckt tiefe Ängste. Oder eine Seele hat sich in ihrer Einsamkeit verloren. Wer einem Menschen in dieser Lage helfen möchte, wird zuerst darum kämpfen, dass er oder sie am Leben bleibt. Oder ins Leben zurückfindet.

Wenn es dann doch aufs Sterben zugeht, heißt „Sterbehilfe“ zuallererst: das Sterben als Teil des Lebens menschenwürdig gestalten. Schmerzen lindern. Raum schaffen für Abschiede. So wie es in den Hospizen und Palliativstationen geschieht. Es ist ein Armutszeugnis, dass es in unserem Land an der nötigen palliativmedizinischen Versorgung immer noch mangelt. Bevor man die „aktive Sterbehilfe“ legalisiert, müsste man viel dringlicher dem palliativmedizinischen Nachholbedarf abhelfen.

Und dann gibt es extreme Grenzfälle. Die wirklich ausweglos sind. In einem solchen Extremfall wird ein Nahestehender wohl auch dabei helfen, dass ein geliebter Mensch endlich sterben kann. Niemand soll ihn dafür verurteilen. Aber: Dieser Extremfall darf nicht zum Normalfall werden, weder gesellschaftlich, noch rechtlich. Solche Grenzfälle sollen auch nicht ausgelagert werden: Nicht in die Schweiz. Nicht in „Sterbehilfe“-Kliniken. Und schon gar nicht in die Verantwortung von Organisationen, Vereinen oder Firmen, die auf die Hilfe zum Suizid spezialisiert sind.

Die Legalisierung des assistierten Suizids fördert den fatalen Anschein seiner Normalität. Das zeigt die Entwicklung in den Niederlanden. Allzu viele entscheiden sich dort für die Todesspritze, weil sie ihren Angehörigen „nicht zur Last fallen“ möchten. Wir sollten unsere gemeinsame Verantwortung für eine angemessene Pflege und Begleitung leidender und sterbender Menschen nicht dadurch vermindern, dass wir den Betroffenen die Last einer „selbstbestimmten“ Entscheidung zum vermeintlich „sozialverträglichen Ableben“ aufbürden.
Der christliche Glaube wirbt um Vertrauen: Was immer mit mir geschieht, bin ich umfangen von Gottes Liebe, im Leben, im Sterben – und darüber hinaus. Das ist der Trost, den ich im Glauben immer neu empfange. Und gerne an andere weitergebe.

Martin Heimbucher, Kirchenpräsident der Evangelisch-reformierten Kirche
28. Februar 2020

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