Was denkt der Süden?

Thomas Fender, Pastor für Ökumene und Diakonie, war Ende Juni in Indonesien zur Leitungskonferenz, dem sogenannten Council, der Vereinten Evangelischen Mission (VEM). Zur VEM gehören 39 evangelische Kirchen auf den Kontinenten Europa, Afrika und Asien . Vier Tage war er im Tagungszentrum auf der Insel Sumatra, drei Tage zu Besuch in der dortigen Karo-Batak-Kirche, zu der der Synodalverband Grafschaft Bentheim eine Partnerschaft unterhält.


Herr Fender: Welche Fragen beschäftigen die Christinnen und Christen der Partnerkirchen in Afrika und Asien?
Die Menschen in Afrika und Asien beschäftigen die Themen, die auch uns beschäftigen, aber vielleicht in einem etwas größeren Umfang. Ich denke an den Klimawandel, von dem große Teile Afrikas durch Dürren und Asiens durch Überschwemmungen ja viel stärker betroffen sind, als wir zurzeit noch. Ich denke auch an den Krieg in der Ukraine, dessen Folgen auch für Asien und Afrika noch nicht vollständig abzusehen sind. Und ich denke an die Corona-Pandemie, die ja noch längst nicht vorbei ist und die auch dort massive gesellschaftliche und wirtschaftliche Auswirkungen hat.

Uns Menschen in Europa beschäftigt der Krieg in der Ukraine sehr; wie ist das etwa im Gastgeberland der Tagung, in Indonesien?
Natürlich ist der Krieg in der Ukraine auch in Asien und Afrika präsent. Die Menschen in Indonesien beschäftigt er im Augenblick sogar noch etwas stärker, weil am 15. und 16. November 2022 der G-20- Gipfel dort stattfinden wird. Als Gastgeber wird Indonesien dabei mehr als andere Staaten im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Und das Land wird versuchen, dabei eine gute Rolle zu spielen, etwa durch die Einladung an die russische und die ukrainische Seite. Diese besondere Rolle ist der Bevölkerung in Indonesien bewusst. Ich hatte das Gefühl, dass die Indonesier stolz auf diese Rolle sind.

Und in den Kirchen der afrikanischen Länder? In der letzten Zeit wurde oft berichtet, dass die europäischen und nordamerikanischen Sanktionen gegen Russland wenig Unterstützung in Afrika finden?
Ich erinnere mich an kein afrikanisches Mitglied des Council, das nicht genauso erschrocken über den russischen Angriff auf die Ukraine gewesen ist, wie wir es in Deutschland waren. Die Haltung einiger afrikanischer Staaten in Bezug auf die europäischen und nordamerikanischen Sanktionen erkläre ich mit folgendermaßen: Nach wie vor geht es den Menschen in vielen Staaten Afrikas sehr schlecht. Von daher kann ich gut verstehen, wenn in diesen Staaten versucht wird, die Situation nicht noch weiter zu verschlechtern, indem man sich auf eine Seite schlägt und die andere dadurch gegen sich aufbringt. Ich kann mir aber noch einen anderen Grund für die Zurückhaltung einiger afrikanischer Staaten in dieser Sache vorstellen. Im letzten Jahr wurde von mehreren Seiten der Vorstoß unternommen, den Patentschutz für Corona-Medikamente aufzuheben oder wenigstens temporär zu lockern, um möglichst schnell mehr Impfstoff herzustellen. Gerade von europäischer Seite ist eine solche Lockerung strikt abgelehnt worden. Warum sollten jetzt afrikanische Staaten die europäischen Sanktionen mittragen?

Thema Klimawandel: die Länder der Südhalbkugel sind davon besonderes betroffen. Können Sie ein Bespiel nennen, was Sie auf Ihrer Reise auf die Insel Sumatra erlebt haben?
Indonesien besteht aus 17.000 Inseln mit einer Küstenlinie von 80.000 Kilometern. Hier ist das Risiko Opfer einer Umweltkatastrophe zu werden sehr hoch: Überflutungen, Sturzfluten, Extremwetter, Erdrutsche. Es ging ja in letzter Zeit auch bei uns durch die Medien, dass Indonesien eine neue Hauptstadt bauen wird, weil Jakarta mehr und mehr versinkt. Ein Grund dafür sind die Folgen des Klimawandels. In der Bucht von Jakarta steigt der Meeresspiegel vier bis sechs Millimeter pro Jahr.
Hinzu kommt der Schaden, den der Mensch selber anrichtet. Nach wie vor ist die Produktion von Palmöl in Indonesien ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Für die Palmölplantagen wurde aber der Regenwald abgeholzt. Diese Plantagen sieht man häufig, wenn man über Sumatra fährt. Durch den abgeholzten Regenwald sind Bäume verloren gegangen, die sonst Co2 aufgenommen und Sauerstoff abgegeben hätten.

Aber besonders schockiert bin ich immer wieder von den Unmengen an Müll, der überall egal ob im Wasser oder an Land zu sehen ist.

Gibt es Erwartungen der Menschen dort an uns Christinnen und Christen in Europa?
Nach über zwei Jahren mit nur digitalen Treffen, hat sich der Council dazu entschieden, sich vor Ablauf der Legislaturperiode in diesem Sommer noch einmal in Präsenz zu treffen. Das war den Mitgliedern wichtig, weil sie das Gefühl hatten, wir wollen und wir dürfen uns gerade angesichts der vielen Krisen in dieser Welt als christliche Gemeinde nicht aus den Augen verlieren. Wir brauchen den Kontakt, den Zusammenhalt als Christen, um allen Herausforderungen begegnen zu können. Von daher ist da ganz klar die Erwartung nicht nur an Christinnen und Christen in Europa, sondern an die ganze Gemeinschaft, dass wir unser Möglichstes tun, um diesen Kontakt auch in Zukunft aufrecht zu erhalten.

Interview: Ulf Preuß
7. Juli 2022


https://www.vemission.org/


Bild oben: Sie trafen sich in Indonesien: Thomas Fender (links) und der Moderator (Vorsitzender) der indonesischen Karo-Batak-Kirche, Krismas Imanta Barus (Foto: privat)

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