Worauf warten wir noch?

Flüchtlingslager Moira auf Lesbos im Februar 2020 (Foto: Jörn Neumann)

Kirchenpräsident Martin Heimbucher hat die Bundesregierung aufgefordert, deutlich mehr Kinder und Jugendliche als bisher vorgesehen aus den griechischen Flüchtlingslagern aufzunehmen. Deutschland und auch Niedersachsen könnten mehr, erklärte Heimbucher in einer heute veröffentlichten Stellungnahme: "144 Städte, Gemeinden und Landkreise in Deutschland haben sich der Aktion 'Seebrücke' angeschlossen und sich zu 'sicheren Häfen' erklärt, 26 davon in Niedersachsen. Sie sind bereit, zusätzliche Aufnahmeplätze für Schutzsuchende zur Verfügung zu stellen."

Wenn für den Anfang jede dieser Städte nur zehn weitere Flüchtlingskinder aufnehmen würde, könne Deutschland bereits jetzt 1.440 Kindern und Jugendlichen Schutz bieten, rechnete der Kirchenpräsident vor. Weitere Städte und Gemeinden könnten und sollten folgen. Ein solcher Beitrag wäre nicht zu hoch für das wirtschaftlich stärkste Land Europas: "Und angesichts der Not in den Flüchtlingslagern ist er auch dringend geboten."

Heimbucher kündigte kirchliche Unterstützung an. In den Kirchengemeinden gebe es ehrenamtlich Engagierte, die bereit seien, Flüchtlinge bei der Integration zu begleiten. Die ersten in Deutschland erwarteten Flüchtlingskinder aus Griechenland werden von Sonnabend an zunächst im Landkreis Osnabrück untergebracht. 53 Kinder aus den Aufnahmelagern der Inseln Lesbos, Chios und Samos sollen dort in einer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe betreut und begleitet werden. Eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums sagte dem epd, Deutschland werde in den kommenden Wochen und Monaten noch 300 weitere Kinder aus den griechischen Lagern aufnehmen, insgesamt also 360 Kinder.

Es sei richtig, angesichts der Corona-Pandemie auf besonders gefährdete Bevölkerungsgruppen wie alte und kranke sowie obdachlose Menschen und Bewohner von Heimen Rücksicht zu nehmen, sagte Heimbucher. "Die gleiche Grundhaltung muss aber auch gegenüber den Flüchtlingen an den Grenzen Europas gelten. Seit Jahren nehmen wir in Kauf, dass Flüchtlinge auf den griechischen Inseln buchstäblich im Dreck landen." Die Lager seien bekanntlich heillos überfüllt.

"Angesichts der auch dort steigenden Infektionsgefahr müssen wir fragen: Wollen wir denn auf diesen Inseln nun auch Massengräber in Kauf nehmen?", mahnte Heimbucher und warnte: "Die Not ist groß, die Gefahr noch größer." Europa müsse handeln, Deutschland dürfe nicht länger warten.

16. April 2020
epd/Ulf Preuß, Pressesprecher


Videobotschaft

Wortlaut der Stellungnahme:


Worauf warten wir noch?

Deutschland wird in diesen Tagen die ersten etwa 50 unbegleiteten Kinder und Jugendlichen aus den überfüllten Flüchtlingslagern in Griechenland aufnehmen. Das ist gut. Ich danke den politisch Verantwortlichen. Ich danke dem Land Niedersachsen und insbesondere Innenminister Boris Pistorius. Ich danke den Helferinnen und Helfern in Osnabrück, die sich dieser jungen Menschen annehmen werden.

Aber Deutschland kann mehr. Und auch Niedersachsen kann sicherlich noch mehr. Darum sollten wir auch noch mehr tun. 144 Städte, Gemeinden und Landkreise in Deutschland haben sich der Aktion „Seebrücke“ angeschlossen und sich zu „sicheren Häfen“ erklärt, 26 davon in Niedersachsen. Sie sind bereit, zusätzliche Aufnahmeplätze für Schutzsuchende zur Verfügung stellen.

Wenn für den Anfang jede dieser Städte nur 10 weitere aufnehmen würde, dann könnte Deutschland bereits jetzt 1440 Kindern und Jugendlichen Aufnahme und Schutz bieten. Weitere Städte und Gemeinden könnten und sollten folgen. Ein solcher Beitrag wäre nicht zu hoch für das wirtschaftlich stärkste Land Europas. Und angesichts der Not in den Flüchtlingslagern ist er auch dringend geboten. Dieser Beitrag ist möglich und nötig – auch im Blick auf „Corona“.

Angesichts der Corona-Pandemie nehmen wir in unserem Land vor allem Rücksicht auf die Menschen, die am empfindlichsten von einer Infektion betroffen wären: Alte und Kranke, Obdachlose, Menschen in Heimen. Das ist richtig. Die gleiche Grundhaltung muss aber auch gegenüber den Flüchtlingen an den Grenzen Europas gelten.

Seit Jahren nehmen wir in Kauf, dass Flüchtlinge auf den griechischen Inseln buchstäblich im Dreck landen. Die Lager sind bekanntlich heillos überfüllt. Angesichts der auch dort steigenden Infektionsgefahr müssen wir fragen: Wollen wir denn auf diesen Inseln nun auch Massengräber in Kauf nehmen? Die Not ist groß, die Gefahr noch größer. Europa muss handeln. Und Deutschland darf nicht länger warten.

Als Kirche sind wir bereit, einen solchen weitergehenden Schritt unseres Landes zu unterstützen. Wir setzen uns vor Ort in den Gemeinden dafür ein, in den Städten und Landkreisen weitere „sichere Häfen“ zu schaffen. In unseren Gemeinden gibt es diakonische Einrichtungen und ehrenamtlich Engagierte, die bereit sind, Flüchtlinge bei der Integration zu begleiten. Worauf warten wir noch?

Kirchenpräsident Dr. Martin Heimbucher
Evangelisch-reformierte Kirche
Leer, 16. 4. 2020

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